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Kreative Maschine oder maschinelle Kreativität?

Behindert der Computer die Kreativität? Oder wird sie durch die schier endlosen Möglichkeiten der Rechner sogar gefördert? Mehrere Referentinnen und Referenten sprachen am Tag der Typografie vom 12. November über kreative Prozesse und präsentierten Beispiele ihrer Gestaltungsarbeiten. 

 

Wie viel Computer verträgt die Kreativität? War es Zufall, dass sich der diesjährige «Tag der Typografie» nicht nur um Schriftgestaltung und grafisches Design drehte, sondern diese für Gestalterinnen und Gestalter wichtige Frage aufs Tapet brachte?

 

An dieser Thematik scheiden sich die Geister seit Aufkommen des Desktop-Publishing Mitte der 1980er-Jahre. Heute gibt es bei der Umsetzung der Kreativität praktisch keine technischen Hürden mehr. Grenzenlose technische Möglichkeiten treffen auf eine begrenzte Vorstellungskraft der Gestaltenden. Es ist bezeichnend, dass solche Fragen in einer Welt wieder aktuell werden, in welcher mehr und mehr ersichtlich wird, dass der uneingeschränkte technische Fortschritt kombiniert mit dem unvollkommenen menschlichen Wesen in die Sackgasse führt.

 

Schriften zuerst als Skizzen auf Papier

 

Doch alles der Reihe nach: Henrik Kubel und Scott Williams betreiben seit über zehn Jahren in London das Designbüro A2/SW/HK und haben sich als Design-Duo einen Namen gemacht. Henrik Kubel präsentierte am Tag der Typografie mehrere Gestaltungsprojekte und erzählte aus dem jeweiligen Arbeitsprozess von der Anfrage bis zum fertigen Resultat. Dabei wurde klar, dass er sich nicht als Schreibtischtäter sieht. Der langjährige Graffitikünstler ist überzeugt, dass der Weg zu einer guten Gestaltung oder einem neuen Font nicht nur über die Maus führen kann. «Der Computer kann unsere Ideen oft nicht eins zu eins umsetzen.» So entstehen viele seiner Schriften zuerst als Skizzen auf Papier, bevor die exakte Ausarbeitung erfolgt. «Die Handarbeit ist die Geburtshelferin der Ideen», sagt Henrik Kubel. Zudem empfiehlt er, zu Beginn einer Arbeit einen Blick zurück zu werfen. Denn man müsse wissen, was vorher gewesen sei, um zu wissen, wohin man gehe.

 

Alternative zu Frutiger und Helvetica

 

Dieses Motto haben sich auch Sibylle Schlaich und Heike Nehl aus Berlin auf die Fahne geschrieben. Beide sind in der Geschäftsführung von Moniteurs, einer Agentur für visuelle Kommunikation in Berlin. Für einen Grossauftrag des neuen Berliner Grossflughafens «Berlin Brandenburg Airport Willy Brandt» recherchierten sie die weltweite Entwicklung der verschiedenen Flughafenleitsysteme. Es zeigte sich, dass sich die Flughafenbeschriftungen meist auf die Schriften Frutiger oder Helvetica beschränken – ein Resultat der optischen Vereinheitlichung der Fluggastführung der 1960er- und 1970er-Jahre. Heute steht jedoch gemäss Sibylle Schlaich und Heike Nehl beim Airportleitsystem die eigene Identität wieder im Vordergrund. Entsprechend liessen sie für die Beschriftung des neuen Flughafens eine individuelle Schrift erstellen.

 

Das problematische Verhältnis zwischen Maschine und Mensch greifen auch die Zwillinge Martin und Thomas Poschauko aus dem bayrischen Au auf. Die beiden Gestalter plädieren für ein kreatives Zusammenspiel zwischen Kopf, Hand, Bauch und Computer. Über zweieinhalb Jahre beschäftigten sie sich intensiv mit dem Projekt «Nea Machina» und dokumentierten diesen Prozess in einem Buch, ergänzt mit ihren Thesen zu Gestaltung und Kreativität. Sie erstellten über tausend Varianten eines Porträts und des Schriftzugs «Nea Machina». Sie experimentierten mit verschiedenen Werkstoffen, Computeranimationen, Photoshop-Filtern und manuellen Bildmanipulationen. Und sie gelangten mehr und mehr zur Erkenntnis, dass Machen die Voraussetzung des Denkens sei. «Photoshop bietet unendliche Lösungen, wird aber nicht mehr von Werkzeugen geleitet», sagt Martin Poschauko. Dies blockiere den Spieltrieb, ein zentrales Element der Kreativität. Die beiden Brüder holen ihre Anregungen draussen in der Natur oder lassen sich von alltäglichen Gegenständen inspirieren. Für die rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Tag der Typografie bleibt wohl unvergesslich, wie die Wahrnehmung so transformiert werden kann, dass sich Strassenbegrenzungspfeiler in Kunstwerke von Picasso verwandeln.

 

Selbst denken

 

Zu Beginn der Tagung thematisierte der renommierte 78-jährige Typograf und Buchgestalter Jost Hochuli die «Schweizer Typografie» der 1940er- bis 1960er-Jahre. Er schilderte die Grabenkämpfe um die Mittelachse und die Typografie der Moderne, die damals erbittert geführt wurden, rückblickend aber ein Schmunzeln auslösen. Hochuli, eine Koryphäe der Buchgestaltung, zeigte sich in seinem Vortrag erfrischend selbstkritisch und wandte sich gegen Dogmatismus. Die Vorlieben gegenüber einer Gestaltung oder einer Schrift seien nie objektiv. Es folgte sein Aufruf zum unabhängigen Denken. «Habe den Mut, dir ein eigenes Urteil zu bilden», gab Jost Hochuli den Zuhörerinnen und Zuhörern als Motto mit auf den Weg.


Patrick Bachmann, Schriftsetzer, Journalist und Verlagsbuchhändler sowie Mitinhaber der Typisch GmbH.

 

Buchtipp: Martin und Thomas Poschauko, «Nea Machina – Die Kreativmaschine», Hermann Schmidt Verlag, ca. Fr. 90.–., ISBN 978-3-87439-762-9

 

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