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Lohnungleichheit geht alle an

Trotz einer Vielzahl von Instrumenten ist die Lohngleichheit von Frau und Mann nicht realisiert. Bei der Lohnfestsetzung gibt es etliche Fallstricke, vor allem, wenn Löhne nicht nach objektiven und transparenten Kriterien festgelegt werden. Stereotype und Vorurteile halten sich hartnäckig.

 

 

syndicom: Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern betrug 2010 immer noch 18,4 Prozent. Rund 60 Prozent davon lassen sich objektiv erklären, der verbleibende Teil ist als Lohndiskriminierung zu werten. Wie kommt das?


Marianne Schär Moser: Lohnunterschiede ergeben sich beispielsweise durch die geschlechtsspezifische Berufswahl. Weiter haben Frauen familienbedingt mehr Unterbrüche in ihrer Laufbahn, arbeiten häufig teilzeitlich und in weniger anspruchsvollen Positionen.


Gibt es weitere Gründe?

Ja. Frauen arbeiten öfter in Branchen mit tiefem Lohnniveau, sie sind seltener in Kaderstellen zu finden. Berücksichtigt man alle diese Faktoren, bleibt immer noch ein Teil der Lohndifferenz bestehen – und dieser ist nur noch durch das Geschlecht erklärbar.


Wie hoch ist dieser Anteil absolut gesehen?

Frauen verdienen, gestützt auf den Medianlohn*, monatlich 468 Franken weniger, nur weil sie Frauen sind. Anders gesagt: aktuell beträgt die Lohndiskriminierung rund 9 Prozent.

 

Ist dies den Unternehmen bewusst?

Die meisten Unternehmen gehen davon aus, dass sie die Lohngleichheit einhalten. Aber sie überprüfen dies nicht.

 

Wie können Löhne auf Geschlechtergerechtigkeit überprüft werden?

Für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden ist das Instrument Logib** ein erster Schritt. Es zeigt, ob Handlungsbedarf besteht. Unternehmen können sich auch am Lohngleichheitsdialog*** beteiligen und gemeinsam mit Arbeitnehmervertretungen die Lohngleichheit überprüfen. Bisher wird dies kaum getan.


Wie entstehen Löhne?

Sehr unterschiedlich. Kleine Unternehmen legen Löhne häufig individuell fest, grössere haben systematische Lohnsysteme. Auch mit diesen ist Diskriminierung nicht ausgeschlossen.


Weshalb nicht?

Lohngleichheit heisst: gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. Häufig wird aber die Wertigkeit der Arbeit gar nicht bestimmt – oder nicht fundiert.


Wie lassen sich unterschiedliche Funktionen vergleichen?

Die Arbeitsbewertung erfasst auf abstraktem Niveau Anforderungen und Belastungen von Funktionen und bestimmt damit die Wertigkeit der Arbeit. Daran kann sich die Lohnfestlegung orientieren. Wichtig ist: ein gutes System korrekt anwenden.


Was heisst das?

Alle relevanten geistigen, körperlichen, psychosozialen und verantwortungsbezogenen Anforderungen und Belastungen müssen erfasst werden, und das in geschlechtsneutraler, objektiver Weise.

 

Diskriminierungsfallen drohen also überall.

Das ist so. Nehmen wir als Beispiel eine Angestellte an einem Postschalter. Von ihr wird Einfühlungsvermögen und kontrollierte Freundlichkeit erwartet. Beides gilt gerne als Persönlichkeitsmerkmal, das man nicht entlöhnt – das ist falsch, denn es gehört zu den Anforderungen dieser Funktion.

 

Die psychosozialen Anforderungen werden unterbewertet?

Sie wurden lange gar nicht erfasst. Heute werden sie meist einbezogen, häufig wird ihnen aber nur geringes Gewicht gegeben. Dies wirkt sich zum Nachteil von Frauen aus, weil sie in vielen frauentypischen Berufen besonders wichtig sind.

 

Lohnungleichheit benachteiligt Frauen. Inwiefern geht sie auch Männer etwas an?

Als Partner von Frauen. Männer, die in «Frauenberufen» arbeiten, sind von den tieferen Lohnniveaus selbst betroffen. Und schliesslich: Teilzeitarbeitende Männer verdienen, aufgerechnet auf eine Vollzeitstelle, bei ansonsten identischen Voraussetzungen weniger. Sie werden also diskriminiert.

 

Nach wie vor müssen Frauen den ihnen zustehenden Lohn selber einfordern. Weshalb fühlt sich der Staat nicht verantwortlich, einen Verfassungsartikel durchzusetzen?

Das darf man sich effektiv fragen! Denkbar wäre eine staatliche Behörde, die entsprechende Kontrollen in Unternehmen vornehmen könnte. Bisher fehlt dazu offensichtlich der politische Wille. Es gibt aber Ansätze zu mehr Verbindlichkeit: Im öffentlichen Beschaffungswesen wird die Einhaltung der Lohngleichheit auf Bundesebene und in einem kantonalen Pilotprojekt bereits aktiv überprüft. Weitere Kantone und Gemeinden dürften nachziehen. Für mich ist das ein vielversprechender Ansatz.

 

Suleika Baumgartner, Journalistin BR in Zürich

  • *Der Medianlohn bezeichnet jenen Wert, bei dem die Hälfte der Löhne darüber, die andere darunter liegt. Beim so berechneten Lohnunterschied fallen besonders hohe Löhne weniger ins Gewicht als bei einer Durchschnittslohnbetrachtung mit Mittelwerten. Gestützt auf den Mittelwert betrug der diskriminierende Anteil des Lohnunterschieds 2008 monatlich 732 Franken – dies, weil mehr Männer als Frauen zu den Spitzenverdienenden gehören.
  • **Instrument zur Überprüfung der Lohngleichheit: www.logib.ch
  • *** www.lohngleichheitsdialog.ch ,internationaler Tag der Frau

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